Wahrheiten jenseits von Mystik und Verteufelung
So mancher
verteufelt das Autorengeschäft mit der mehr oder weniger expliziten Behauptung:
„Die Schriftstellerei ist ungesund, macht einsam und führt nur allzu oft in den
Wahnsinn.“ – Was ist dran an dieser durchaus verbreiteten Ansicht?
Jüngst las ich im
„Magazin“ (Nr. 26/2016) über die Entstehung von Gabriel García Márquez’
Jahrhundertroman „Hundert Jahre Einsamkeit“ (veröffentlicht 1967). Da stand,
der Schriftsteller habe beim Schreiben 60 Zigaretten pro Tag geraucht. Er und
seine Familie seien nach Beendigung des Manuskripts derart verarmt gewesen,
dass sie das Porto zum Versand des Buchmanuskripts an den Verleger kaum mehr
zusammenbrachten. Márquez sagt: „Achtzehn Monate lang stand ich nicht mehr vom
Schreibtisch auf.“ So anekdotenhaft das Ganze anmutet, die Radikalität des
Prozesses dürfte glaubwürdig dargestellt sein. Dennoch sieht Márquez auf Fotos
stets wie eine Frohnatur aus. Des Autors Glück: Er hatte Erfolg mit
seinem Schreiben wie kaum ein anderer vor ihm. Und er hatte eine Familie, die
seine Schreiberei respektierte und mittrug.
Nicht alle haben
den Rückenwind und den Mut eines Gabriel García Márquez. Der deutsche
Krimi-Erfolgsautor Andreas Eschbach jammert auf seiner Website über sein Los.
Bei Eschbach klingt es zum Beispiel so: „Schriftsteller führen in erster Linie
ein einsames Leben. Man verbringt den größten Teil seiner Zeit allein in einem
stillen Zimmer und schreibt. Und wenn man mit anderen zusammen ist, kann es
sein, dass das, was man geschrieben hat, so in einem weiterarbeitet, dass man
auch nicht so richtig da ist und seltsame Blicke abbekommt.“
Die Antithese zum
deutschen Pessimisten ist die Amerikanerin Julia Cameron, Guru für esoterisch
angehauchte Kreative. In ihrem Buch „Right to write“ („Von der Kunst des
Schreibens“) führt sie aus: „Eine der gravierendsten Schreibhemmungen scheint
mir die Angst vor der Einsamkeit zu sein.“ Sehr treffend korrigiert sie
die Halbwahrheit dieser Angst: „Wenn ich geschrieben habe, kann ich im
Augenblick präsent sein, anstatt mich wie der nichtschreibende Schriftsteller
[sie spricht in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ auch von
„Schattenkünstlern“, Anmerkung M.O.] ständig an diesem zwielichtigen Ort
aufzuhalten, an dem man immerfort etwas anderes tun ‚sollte’.“
Halten wir fest:
Professionell zu schreiben erfordert unter Anderem den Mut, sich der Einsamkeit
zu stellen. Das kann Befriedigung verursachen, jedoch mitunter auch
Probleme. Wer nicht das Ziel verfolgt, einsam zu sein und sich
abzuschotten, wird sich vernetzen und in den entscheidenden Momenten seines Lebens voll da sein.
Die Einsamkeit
des Schriftstellerdaseins ist vor allem eine Ausrede, um nicht durch die
„enge Pforte“ zu müssen, um einen Umweg ums Nadelöhr jeglicher
ausgesuchten Kunst zu finden. Jeder, der im Leben besondere Ziele anstrebt,
zahlt dafür einen Preis. Wer sich diesen Fakten mit
Selbstverantwortung stellt, wird seinen Weg finden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen